Die Zahl der Mitglieder in Kirchen ist so niedrig wie nie, Kirchen müssen sparen und notfalls auch Gotteshäuser aufgeben werden. Was geschieht dann? Denn viele Kirchen stehen unter Denkmalschutz.
In Dogern im Kreis Waldshut ist es Ende April so weit: Die vor mehr als 60 Jahren erbaute evangelische Auferstehungskirche wird aufgegeben und im Rahmen eines feierlichen Gottesdienstes entwidmet. « Alle religiösen Gegenstände, die mit einem Kreuz versehen sind, müssen raus », sagt die Vize-Kirchengemeinderatsvorsitzende Jenny Lohrer. Dann gibt es in Dogern keine evangelische Kirche mehr. Sie sei von den rund 300 evangelischen Kirchenmitgliedern am Ort nicht mehr genutzt worden. Was mit dem Gebäude dann geschieht – es gebe viele Ideen, aber noch keinen konkreten Plan, sagt sie. Das Schicksal dieser Kirche ist der Anfang. Viele weitere werden wohl folgen.
Kirchenaustritte und Finanznöte
Denn die Gläubigen wenden sich von der Kirche ab, Protestanten wie auch Katholiken treten in Scharen aus. Die Folge ist nicht nur ein schmerzlicher Bedeutungsverlust, sondern auch Finanznöte bestimmen zunehmend die Strategien. Die evangelischen und katholischen Kirchen in Baden-Württemberg müssen sparen und sich neben Pfarr- und Gemeindehäusern auch von Kirchen verabschieden. Das birgt Probleme.
Vielfach sind Kirchen – auch bundesweit – denkmalgeschützt und ein Verkauf oder die Umnutzung ist schwierig. In den letzten fünf Jahren kam es laut der Landeskirchen und Diözesen im Südwesten bereits zu Schließungen, weitere werden folgen. « Es nimmt Fahrt auf », sagt Prälat Marc Witzenbacher von der Evangelischen Landeskirche Baden (Ekiba).
Nach Worten eines Ekiba-Sprechers werden im Beritt der Kirche derzeit noch rund 640 Kirchen und etwa 60 Sakralräume für Gottesdienste genutzt. 13 Kirchen wurden in den letzten 5 Jahren entwidmet, wie ein Sprecher sagte.
Denkmalschutz ist ein Problem
Im Bereich der Evangelischen Landeskirche Württemberg ist der große Teil der rund 1500 Kirchengebäude nach Worten eines Sprechers denkmalgeschützt und wäre daher bei Bedarf auch kaum verkäuflich. Der Aufwand durch Denkmalschutzauflagen erschwere auch eine Umnutzung, sagt er.
In den letzten Jahren seien etwa in Reutlingen die Christuskirche sowie die Johanneskirche in Wendlingen geschlossen beziehungsweise umgenutzt worden, sagte ein Sprecher. In Zusammenarbeit mit der Diakonie entstand in Reutlingen ein diakonisches Zentrum. In Wendlingen wurde die Johanneskirche bis auf den Kirchturm abgerissen und ein Wohnprojekt für Menschen mit Beeinträchtigung errichtet.
Solche Ideen sind allemal besser als kompletter Abriss, sagt Stefanie Lieb, die an der Uni Köln Architektur und Kunstgeschichte lehrt und sich etwa im Forschungsprojekt « Sakralraumtransformation » mit der Funktion und Nutzung religiöser Orte in Deutschland beschäftigt. « Generell eignet sich jedes Kirchengebäude für eine sinnvolle Umnutzung zu einem öffentlichen Sozialraum. »
Vor allem Nachkriegskirchen sind betroffen
Bundesweit dürften in den nächsten Jahrzehnten nach Worten von Lieb mindestens 30 Prozent aller Kirchen profaniert (also entwidmet) werden. « Hiervon sind vor allem Nachkriegskirchen (1950er-80er Jahre) betroffen, da sie als weniger « sakral » angesehen werden und häufiger nicht unter Denkmalschutz stehen », erläutert sie. Gerade solche Bauten aber eigneten sich gut etwa für Restaurants, Bibliotheken oder Cafés.
Schließung einer Kirche oft schwer für Gemeinde
In der Erzdiözese Freiburg gibt es noch rund 2000 Kirchen und Kapellen, die genutzt werden, wie ein Sprecher berichtet. Etwa 10 Kirchen seien in den vergangenen 5 Jahren aufgegeben worden, bei 5 bis 6 weiteren Kirchengebäuden liefen entsprechende Anträge. Wenn Kirchen aufgegeben würden, sei das nicht leicht für die betroffenen Gemeinden. « Oft hängen Erinnerungen dran », sagte der Sprecher. Es sei wichtig, dass die Gemeinde die Gelegenheit zum Abschied bekommt.
In der Diözese Rottenburg-Stuttgart werden insgesamt noch rund 2400 Sakralgebäude genutzt, davon 1400 Kirchen und 1000 Kapellen. Aufgegeben wurden in den letzten 5 Jahren nur Kirchen, für die es einen Ersatzneubau gegeben habe.
Umnutzung sensibles Thema und eher die Ausnahme
In der Erzdiözese Freiburg seien von den aufgegebenen Kirchen nur noch wenige weiter in christlicher Verwendung, heißt es von dort. Meist werde eine soziale oder karitative Nutzung angestrebt. Das Gebäude solle keiner « unwürdigen Bestimmung » dienen.
Generell hätten sich die Richtlinien verändert, berichtet Prälat Witzenbacher von der Ekiba. Früher sei der Betrieb eines Cafés oder Lokals in ehemaligen Kirchenräumen undenkbar gewesen. Heute sei man flexibler. In Nordrach (Ortenaukreis) sei 2023 eine Kirche an einen Investor verkauft worden, der ein Bürogebäude daraus machen wollte, vorher war die entwidmete Kirche ein Atelier.
Bis jetzt seien Umnutzungen noch die Ausnahme in Deutschland, die Entwicklung nimmt jedoch immer mehr Fahrt auf, so Lieb.
Noch keine Massenbewegung
Weitere Kirchenschließungen sind unausweichlich. Man wisse ja, dass die Mittel zurückgehen und die Gebäude viel Finanzen binden. « Noch ist es keine Massenbewegung », sagt Witzenbacher. Aber der Unterhalt von Kirchen binde enorme finanzielle Ressourcen. Die Ekiba werde nicht darum herumkommen, weitere Gebäude abzustoßen.
Bevorzugt werde aber weiterhin eine kirchliche Nutzung aufgegebener Kirchen – etwa, dass eine andere Religionsgemeinschaft so ein Gebäude übernimmt. « Das Schlimmste wäre immer der Abriss », sagt er.
Source link : https://www.stern.de/gesellschaft/regional/baden-wuerttemberg/aufgegebene-kirchen–schmerzhafte-notwendigkeit—wenn-kirchen-aufgegeben-werden-35451356.html?utm_campaign=alle-nachrichten&utm_medium=rss-feed&utm_source=standard
Author :
Publish date : 2025-02-09 03:15:00
Copyright for syndicated content belongs to the linked Source.