Kann Kiew die Moskauer Siegesparade mit Drohnen stören? Ein Angriff wäre ein Symbol, doch die Risiken eines solchen Schlags für die Ukraine wären hoch.
In den letzten Tagen wurde die Möglichkeit eines ukrainischen Drohnenangriffs auf die Parade zum Gedenken an den Sieg im Zweiten Weltkrieg in Moskau diskutiert. Wie realistisch wäre eine solche Attacke?
Grundsätzlich verfügt Kiew über eine Armada von Langstreckendrohnen, darunter Typen wie die UJ-22 Airborne und modifizierte Selbstbau-Drohnen, die Reichweiten von bis zu 1000 Kilometern erreichen können. Unterstützt durch westliche Technologie hat die Ukraine ihre Produktionskapazitäten für Drohnen erheblich gesteigert, was einen Angriff auf den Kreml technisch möglich macht. Die Route der Parade ist bekannt, ebenso der Termin. Damit wäre die Veranstaltung ein leichtes Ziel.
Ein Angriff würde das Prestige und Ego des Kremlherrschers treffen und der Welt eindrucksvoll zeigen, zu welch empfindlichen Schlägen Kiew trotz allem fähig ist. Solche Aktionen knüpfen an frühere ukrainische Drohnenangriffe an, etwa auf Belgorod oder Rostow am Don, die Kiews Fähigkeit zur weitreichenden Kriegsführung demonstrierten. Das Aufsehen wäre deutlich größer als bei den regelmäßigen Angriffen auf Munitionslager oder Ölraffinerien, deren PR-Effekt sich weitgehend erschöpft hat. Zwar gelingen der Ukraine solche Einsätze immer wieder, doch hatten sie bislang kaum spürbare Auswirkungen auf den Verlauf des Bodenkriegs, etwa in der umkämpften Region Donezk oder bei ukrainischen Kämpfen in der russischen Oblast Kursk.
Erst die Drohnen, dann der Gegenschlag
Allerdings ist eine solche Operation mitten in Moskau extrem schwierig. Der Angriff käme nicht unerwartet. Den Russen sind Ziel und Zeitfenster bekannt, und sie werden die Parade sowie den Kreml noch stärker schützen, als sie es ohnehin tun. Moskau ist von fortschrittlichen Luftabwehrsystemen wie S-400 und Pantsir-S1 umgeben, die seit jüngsten Drohnenangriffen, etwa am 5. Mai 2025, verstärkt wurden. Ein beliebiges Ziel in der Großstadt Moskau zu treffen, ist eine ganz andere Herausforderung, als den engen, zentralen Raum der Parade erfolgreich zu erreichen. Bei Massenangriffen setzte Kiew am 15. Januar 2025 etwa 200 Langstreckendrohnen ein, die jedoch verschiedene Ziele in Russland anflogen, oft gestartet aus Gebieten wie Sumy oder der ukrainisch kontrollierten Region Kursk, etwa 450 bis 600 Kilometer von Moskau entfernt. Diese Zahl könnte vermutlich gesteigert und alle Drohnen auf ein Ziel konzentriert werden.
Um die Feier zu stören, müssten die Drohnen nicht einmal in großer Zahl ihr Ziel erreichen. Schon bei der Annäherung eines Drohnenschwarms würde ein Luftalarm ausgelöst, und die Veranstaltung würde voraussichtlich abgebrochen.
Die Frage, ob Kiew das prestigeträchtige Ereignis stören kann, ist also eindeutig mit « Ja » zu beantworten. Die nächste Frage ist jedoch, welche militärischen Optionen Putin dann hätte. Nahezu zeitgleich findet eine ähnliche Feier in Kiew statt. Auch sie ist angreifbar, wobei Russlands Möglichkeiten deutlich größer sind als die Kiews. Putin ist nicht allein auf langsame Drohnen angewiesen, um Kiew zu attackieren. Dies liegt zudem nur etwa 150 Kilometer von russisch kontrolliertem Gebiet entfernt, etwa der Region Tschernihiw oder Belarus.
Der Kreml könnte die ukrainische Hauptstadt mit weitaus schnelleren und wirksameren Waffen angreifen. In seinem Arsenal befinden sich aus der Luft gestartete Hyperschallraketen vom Typ « Kinschal », ballistische Raketen vom Typ « Iskander » sowie möglicherweise die neuartige « Oreschnik »-Rakete, die bisher nur einmal eingesetzt wurde. Diese Waffen sind ungleich wertvoller, und normalerweise setzt Russland sie nicht in Massenangriffen ein. Für einen Vergeltungsschlag könnte Putin jedoch auf seine Reserven zurückgreifen.
In der Vergangenheit, etwa während der intensiven Angriffe auf Kiew 2022, konnte die ukrainische Luftverteidigung ballistische Raketen nur in Ausnahmefällen abfangen. Angesichts der derzeit geschwächten Luftabwehr, erschöpft durch fortlaufende russische Angriffe, könnten einzelne Flugkörper abgeschossen werden, doch in der Masse würden Russlands Raketen ihre Ziele treffen. Neben dem schnellen Schlag durch wertvolle Raketen könnte Kiew anschließend von Drohnen angegriffen werden. Diese hätten eine längere Flugzeit, könnten aber aus deutlich geringerer Entfernung gestartet werden, etwa von russischen Stützpunkten in Belarus. Das Ergebnis: Während die Ukraine mit ihren Drohnen vor allem einen symbolischen Erfolg erzielen kann, könnte der Kreml massive Zerstörungen in Kiew und bei der dortigen Feier anrichten.
Welle der Empörung
Rein militärisch hat Putin die besseren Karten, und politisch sieht es ähnlich aus. Die Siegesparade am 9. Mai ist der wichtigste Feiertag in Russland und besitzt in der Bevölkerung hohe symbolische Bedeutung, verstärkt durch Putins Rhetorik, die den Zweiten Weltkrieg mit dem aktuellen Konflikt verknüpft. Die Teilnahme internationaler Gäste, etwa aus den BRICS-Staaten, unterstreicht ihre globale Relevanz. Ein Angriff auf den Festakt würde eine Welle patriotischer Empörung auslösen – besonders, wenn Zuschauer oder gar Veteranen des Großen Vaterländischen Krieges zu Schaden kämen. Russische Propaganda würde solche Vorfälle nutzen, um zivile Opfer zu betonen und die Bevölkerung weiter zu mobilisieren.
Innenpolitisch hätte Putin dann eine « Carte Blanche » in der Hand. Wie er sie nutzt, ist schwer vorherzusagen. Unter anderem könnte er Kiew offiziell den Krieg erklären. An der Front, wo seit über drei Jahren Krieg herrscht, würde dies wenig ändern. Ein solcher Angriff bedeutet sicher nicht, dass Putin Atomwaffen einsetzen würde. Doch in der russischen Bevölkerung würde die Zustimmung zu einer nuklearen « Lösung » des Konflikts wachsen. Innenpolitisch würde der Kriegszustand dem Kreml weitreichende Möglichkeiten eröffnen, einschließlich einer Mobilisierung. Dies wäre jedoch kaum nötig, da der Armee bereits genug Freiwillige zuströmen. Ein Angriff auf die Parade würde ihre Zahl weiter steigern.
Xi Jinping im Bunker?
Noch größer wäre der außenpolitische Schaden für Kiew. Sollte es zu einem Drohnenangriff auf die Moskauer Siegesparade und zu einem russischen Gegenschlag kommen, würde Kiew die alleinige Verantwortung für die Eskalation tragen. International sind die Reaktionen der USA und Chinas besonders wichtig. Für die Trump-Regierung, die auf eine schnelle Beendigung des Konflikts drängt, wäre ein Angriff ein klares Signal, dass Selenskyj den Krieg fortführen will. Die Beziehungen zwischen Washington und Kiew dürften weiter abkühlen, möglicherweise begleitet von reduzierter militärischer Unterstützung oder Sanktionen.
Noch problematischer könnte die Reaktion Pekings ausfallen. Sollte Xi Jinping gezwungen sein, in einem Bunker Schutz zu suchen, müsste China reagieren. Einen solchen Affront würden weder die Staatsführung noch die chinesische Bevölkerung hinnehmen. Schon jetzt ist Peking Russlands wichtigster Verbündeter, vor allem wirtschaftlich, während es direkten Waffenexport vermeidet. Dies könnte sich abrupt ändern. In der Rüstungsproduktion ist China unübertroffen. Die Kämpfe an der Frontlinie werden von kleinen Drohnen dominiert, und Chinas Produktionskapazitäten sind nahezu unbegrenzt. Sollte Peking beginnen, Russland mit Drohnen oder anderen Waffen zu beliefern, könnte dies die Dynamik an der Front entscheidend verändern.
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Author : Gernot Kramper
Publish date : 2025-05-06 16:16:00
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