Eine türkische Familie aus Hamburg freut sich auf eine Reise nach Istanbul – und stirbt. Eine Freundin kann es nicht fassen. Sie saß doch eben noch mit Çiğdem B. in ihrer Wohnung.
Narin Kocak steht vor einer Wohnung im achten Stock eines grauen Hamburger Wohnblocks und versucht ihren drei Kindern zu erklären, was sie selbst nicht fassen kann. Vor die Tür haben Nachbarn Kerzen, Kuscheltiere und Süßigkeiten gelegt. Daneben stehen zwei kleine Tretroller und vier Paar Schuhe. Zwei große, zwei kleine. In der Wohnung ist plötzlich kein Leben mehr.
Hier, in diesem grauen Betonquader, lebte bis vor Kurzem Familie B., die Eltern Çiğdem und Servet und ihre beiden kleinen Kinder Masal und Kadir. Bis sie in einen Urlaub nach Istanbul aufbrachen.
Dort starben vor wenigen Tagen die Mutter und ihre beiden Kinder, drei und sechs Jahre alt. Am Montagabend starb auch der Vater in einem Istanbuler Krankenhaus.
Auf der Suche nach den Gründen gingen die Ermittler offenbar zuerst von einer Lebensmittelvergiftung aus. Inzwischen aber gilt als wahrscheinlich, dass eine chemische Vergiftung durch Ungeziefermittel im Hotel die Todesursache war. Die Untersuchungen dauern noch an.
Narin Kocak war eine Nachbarin der Familie. Und, so sagt sie, gut befreundet mit Çiğdem B., der Mutter. Die beiden kannten sich seit acht Jahren. Sie wohnten im selben Haus, sahen sich jeden Tag. Ihre Kinder hätten zusammen auf dem Spielplatz hinter dem Haus gespielt, sagt Kocak.
« Mama, du hast doch geweint », sagt ihre Tochter nun.
« Ja, natürlich, ich kannte sie doch gut », sagt Kocak.
Wenig später sitzt sie an ihrem Küchentisch, raucht und starrt an die Wand. Çiğdem B. und sie hätten kurz vor der Reise noch in dieser Wohnung zusammengesessen. Sie hätten viel über ihre Familien und ihre Kinder gesprochen. Während bei ihr und ihren Kindern oft Chaos herrsche, vor allem morgens vor der Schule, sei die ganze Familie B. sehr ruhig und aufgeräumt gewesen.
Çiğdem sei eine glückliche Frau gewesen, sagt Kocak. Sie habe mit ihrer Familie doch nur einen Kurztrip machen wollen, sie habe sich so auf Istanbul gefreut. Fünf Tage bummeln, essen und den Kindern ein paar Sehenswürdigkeiten zeigen.
Auf WhatsApp, sagt Kocak, hätte sie das verfolgen können. Die Familie auf einem Schiff, ein Familienfoto. Alle lächelten in die Kamera.
Çiğdems Familie, sagt Kocak, habe in der Türkei gelebt, in Deutschland habe sie nur wenige Menschen gekannt. Eine Familienfrau, mit einer starken Bindung zu ihren Kindern und ihrem Mann. Die B.s seien sehr liebevoll miteinander umgegangen. « Die waren immer zusammen, also wirklich immer », sagt Kocak. « Man sagt, nur der Tod kann uns trennen. Bei denen ist das wirklich so. »
Zwei Tage, bevor Çiğdem B. mit ihrem Mann und den Kindern in den Flieger nach Istanbul stieg, saß sie noch bei Kocak auf der Couch. Sie hätten auch über eine Babykatze gesprochen, die Kocak besorgt hatte. Çiğdem B. hätte sie ihren Kindern nach dem Urlaub schenken wollen. Eine Überraschung. Als die Familie in der Türkei war, sagt Kocak, hätten Çiğdem B. und sie einander noch Textnachrichten geschrieben. Auch noch, als sie schon im Krankenhaus war.
Einen Tag später, sagt Kocak, habe sie von ihrem Tod erfahren. Sie habe noch versucht, die Freundin anzurufen. Einmal, zweimal, dreimal.
« Das kann doch nicht sein », sagt Kocak jetzt. Die Katze hat Kocak der Schwester des toten Vaters gegeben. Sie habe das Tier unbedingt haben wollen. Als Andenken.
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Author : David Holzapfel
Publish date : 2025-11-19 11:59:00
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