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Meinung: Excuse me, Mr. President, wer ist hier der Diktator?

Meinung: Excuse me, Mr. President, wer ist hier der Diktator?

Donald Trump schimpft Wolodymyr Selenskyj einen Diktator. Klar wird: Der Präsident Trump agiert nicht anders als der Wahlkämpfer – und wird für Europa zur existentiellen Gefahr.

Es war ein schwarzer Tag für die Ukraine, Europa und das transatlantische Bündnis. Innerhalb von 24 Stunden ließ Donald Trump den ukrainischen Präsidenten über die Klippe springen, übernahm Wort für Wort die Sprache des Kremls und verabschiedete sich nebenbei von 80 Jahren amerikanischer Außenpolitik. 

Zunächst, am Dienstag, schob er Wolodymyr Selenskyj die Schuld am russischen Überfall zu – « eine Führung, die den Krieg erst zugelassen hat ». Dann wiederholte der US-Präsident Moskaus hinterlistige Forderung nach Neuwahlen und behauptete, Selenskyjs Zustimmungsrate liege bei vier Prozent. (In Wirklichkeit liegt diese laut aktuellen Umfragen bei 52 Prozent – und ist damit höher als Trumps). Dann am Mittwoch,der vorläufige Höhepunkt, als Trump Selenskyj einen « Diktator » nannte und ihm vorwarf, den Krieg begonnen zu haben. 

Man konnte die Sektkorken im Kreml knallen hören.

Während im Westen blankes Entsetzen über Trumps groteske Tatsachenverdrehung herrscht, muss man sich klarmachen: Seine Worte in Wahrheit einem Muster: Lob für Wladimir Putin – Kritik an der Ukraine, Europa und der Nato. Wem hatte Trump im Wahlkampf vorgeworfen, « diesen Krieg niemals hätte beginnen lassen zu dürfen »? Richtig, Selenskyj. Und über wen sagte er wiederholt, er wolle Frieden? Putin – natürlich. Europa hätte gewarnt sein müssen.

Donald Trump will zu den Gewinnern gehören – koste es, was es wolle

Trumps selbsterklärtes Ziel, den Krieg in der Ukraine zu beenden, lenkt davon ab, was er wirklich will – eine Partnerschaft mit Putin, den er als großen Staatsmann bewundert. Dafür ist er nicht nur bereit, das transatlantische Bündnis zu den Akten zu legen, sondern die Ukraine zu einem Boxsack zu verwandeln, den man nach Belieben treten kann. 

Wenn Trumps Unterhändler über das Ende des Krieges sprechen, konzentrieren sie sich auf Zugeständnisse, die die Ukraine machen muss – Territorien abtreten, keine Nato-Mitgliedschaft – nicht Russland. Statt darüber zu verhandeln, was Putin (zurück-)geben sollte, wird darüber gesprochen, was ihm gegeben werden kann. Trump begrüßte die Idee, Russland wieder in die G7 aufzunehmen, sein Außenminister zeigte sich offen für die Aufhebung amerikanischer Wirtschaftssanktionen.

Was Amerikas alte Verbündete panisch aufhorchen lässt, fügt sich nahtlos in Trumps « Gewinner und Verlierer »-Weltbild. Einen ganzen Wahlkampf lang hat er davon geredet, dass der Krieg unter seiner Führung nicht begonnen worden wäre, dass er ihn an einem Tag beenden könne. Zurück im Weißen Haus hat er beschlossen, der schnellste Weg sei, die Ukraine einfach auf die Fußmatte des Kreml zu legen.

Und dort, in Moskau, wird Putin sein Glück kaum fassen können.

Putin weiß, dass Trump sich nicht um langfristige strategische Ziele schert. Was er will, sind schnelle symbolische Gewinne – und die verschafft ihm der russische Präsident. Kurz vor dem ersten US-Russland-Treffen in Saudi-Arabien ließ er mehrere amerikanische Gefangene frei – ein Geschenk, das Trump zu Hause als Sieg verkaufen konnte. Doch Putin weiß, was Trump noch lieber als freigelassene Amerikaner mag: Dollarscheine.

So war es kein Zufall, dass bei den Gesprächen in Riad auf einmal Kirill Dmitriev zu Gast war, Russlands oberster Investmentmanager. Er versicherte Trumps Unterhändlern, dass sich amerikanische Unternehmen in Russland eine goldene Nase verdienen könnten. Über 300 Milliarden Dollar würden den Amerikanern bei Wiederaufnahme der Geschäftsbeziehungen winken.

 

Schulterschluss mit Putin? Ein europäischer Albtraum wird wahr

Amerika, das einst für eine liberale demokratische Weltordnung eintrat, wendet sich gegen Europa. Trumps Schulterschluss mit Putin hat die Albträume der Ukrainer wahr werden lassen und die transatlantischen Beziehungen, die seit 1945 die Grundlage der europäischen Sicherheit bilden, auf den Kopf gestellt. Während der ehemalige US-Präsident Joe Biden eine Koalition aus über 50 Staaten zur Unterstützung der Ukraine geschmiedet hatte, verbannt der neue Mann im Weißen Haus die Europäer vom Verhandlungstisch.

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz vergangene Woche suchte manch ein Politiker noch verzweifelt nach Anzeichen für eine größere Strategie hinter Trumps Handeln. Einige vermuteten, dass die Amerikaner sich voll und ganz auf China konzentrieren wollten und Europa deshalb eine größere Rolle bei der Verteidigung spielen müsse. Andere nahmen an, Trump wolle versuchen, Putin gegen China auszuspielen, so wie Richard Nixon in den 1970er Jahren China von Russland löste. 

Doch nach und nach wurde klar: Wenn Trump wirklich mit China konkurrieren will, warum sollte er dann die USAID einstampfen, ein wesentliches amerikanisches Soft-Power-Instrument? Oder westliche Handelspartner mit Strafzöllen belasten? Oder die Hälfte seiner eigenen Bevölkerung als inneren Feind bezeichnen? Oder in den sozialen Medien Sprüche posten, wie « Wer sein Land rettet, verstößt nicht gegen ein Gesetz » und « Lang lebe der König »?

Spätestens seit Dienstag sollte jedem in Europa klar sein, dass Trump nie wirklich vorhatte, Diktatoren wie Putin zu bekämpfen – sondern Deals mit ihnen zu machen. Frei nach dem Motto, wenn du sie nicht schlagen kannst, schließ dich ihnen an.

Europa steckt in der Klemme

Die Schwäche der Europäer war offensichtlicher. Und ihre Zwangslage: Auf der einen Seite ein russischer Präsident, der Europa zerstören will. Auf der anderen Seite ein amerikanischer Präsident, der klargemacht hat, dass ihm das ziemlich egal ist. « Dieser Krieg ist für Europa viel wichtiger als für uns », schrieb Trump in den sozialen Medien. « Wir haben einen großen, schönen Ozean als Trennung. » Nicht dass « dieser schöne große Ozean » die Amerikaner vor dem Zweiten Weltkrieg bewahrt hätte, aber Geschichte war wohl noch nie Trumps Stärke.

Europa steckt in der Klemme. Ganz gleich, wie energisch Bundeskanzler Olaf Scholz darauf beharrt, dass Deutschland die Ukraine bis zum Ende unterstützen wird – nach den Wahlen am Sonntag dürfte er nicht mehr zu den Entscheidern gehören. Ihm droht ein ähnliches Schicksal wie Biden, dessen Versprechen, « kein Deal über die Ukraine ohne Ukraine », von Trump mit Füßen getreten wurde. 

Es war Selenskyj, der in München deutlich machte, was die europäischen Demokratien jetzt brauchen: eine eigene Armee. « Damit die Zukunft Europas nur von den Europäern abhängt und die Entscheidungen über Europa in Europa getroffen werden », so der Mann, den Trump einen Diktator nennt. Die Europäer müssten stark sein, sagte Selenskyj abschließend, denn Aggressoren respektieren nur Stärke. 

So hat man früher über Putin gesprochen. Heute gilt es auch für Trump.



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Author : Leonie Scheuble

Publish date : 2025-02-20 05:14:00

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